Wer hat die ganze Welt gesehen von der Havel bis zur Spree?

Na, Icke!

Heute morgen wurde ich mit der Information geweckt, dass eine Löwin unrechtmäßig und ohne Genehmigung durch den Berliner Süden streift. Die Leute sollen zu Hause bleiben, die Cops suchen vom Hubschrauber aus nach dem Wildtier. Klingt ein bisschen nach Nachrichten-Sommerloch und gleichzeitig wundert es auch nicht. Wo kommt die Löwin her? Hat vielleicht einfach eine StadtbewohnerIn ohne Tierkenntnisse Fuchs und Löwe verwechselt? Ist sie einfach aus einer der zahllosen “zu verschenken” Kisten ausgebüxt? Oder liegt’s wie so oft mal wieder nur an einer Überdosierung eines legalen LSD-Derivates und die Löwin ist nur ein Fantasieprodukt? In Berlin alles denkbare Erklärungen.

Eins zu Null für die BZ.

Hier im Café unweit des maximal-kaputt-gentrifizierten-Bötzowviertels, zwischen Prenzlauer Berg und Friedrichshain, in dem ich diese Zeilen schreibe, wähne ich mich zumindest erst mal in Sicherheit vor der Bestie. Dieser Post wird nicht ohne Klischees funktionieren also auf sie, mit Löwengebrüll!

Berlin ist schmutzig und stinkt... …and no one gives a fuck. Bierflaschen machen in Berlin einen lauten Knall, wenn man sie auf die Straße wirft! Das hören Einheimische und Touristen gleichermassen gerne, also macht man das so oft wie möglich. Wer gegen Tetanus geimpft ist und eh die Gefahr liebt, kann trotzdem barfuß durch den Park spazieren. You have been warned.

Öffentliche Toiletten sind absolute Mangelware und wenn überhaupt vorhanden sind sie oft kaputt, in grausamen Zustand und kosten Geld. Bargeld. Also Münzen. Nur passend!! Wenn ein Karten-/NFC-Leser vorhanden ist so geht er zu 90% nicht. Auch nicht wie hier am Hauptbahnhof Berlin. Ergebnis: Alles stinkt nach Pisse.

Müllflecken tun sich immer und überall auf. Das hier war unser nähster und man fütterte ihn auch fleißig, damit er größer wird.

Installation ”Chips mit Quark in Straßenbahn M4” Künstler unbekannt, ca. 2023.

Berlin ist Chaos und nichts funktioniert. In den 2010er Jahren war ich arbeitsbedingt oft über Wochen in Charlottenburg oder am Prenzlauer Berg. Dabei habe ich meist ein AirBnb gebucht und hab da mit netten Kollegen gewohnt. Ich fand das angenehmer als die ganze Zeit im Hotel abzuhängen. Nachteil: Die Airbnbs machten den knappen Wohnraum noch knapper, die anderen Bewohner im Haus waren genervt von den ständig wechselnden (Party)Gästen und die Stadt hat das ganze (zurecht!) für die allermeisten Fälle unterbunden. Also wollte ich es für die 3 Monate hier besser machen und mietete eine möblierte Wohnung über “Wunderflats”. Da kriegt man einen echten Mietvertrag, es steht alles auf legalen Beinen und außerdem hat man einen Ansprechpartner. Dachte ich.

Beim Einzug in die Wohnung wurde dann mitgeteilt, dass warmes Wasser nur in homöopathischen Dosen aus der Leitung käme und die Duschkabine kaputt sei. “Dit wollte eener reparieren, der is uff Montage.” “Auf-Montage-sein” wurde schnell ein Code zwischen Christine und mir für “wird-niemals-repariert-bleibt-alles-wie-es-ist”. Schon gewusst? Der Flughafen war eigentlich seit Jahren fertig, da sollte nur noch einer die Fugen zu spachteln, der war aber auf Montage. In the kingdom of far-far away.

Ach ja, die Heizung funktionierte auch nicht, dafür gabs nen Heizlüfter, der Anfang Mai dann auch dauerhaft laufen durfte, aber Strom kommt ja eh aus der Steckdose.

Ursprung allen Übels war ein Boiler, der in einem kleinen Kabuff neben der eigentlichen Wohnung untergebracht war.

Der sah so aus:

Nicht im Bild: Allerlei Unrat, der unter und neben dem Boiler verteilt war: Wählscheibentelefone, DSL Splitter, größere Teile des Bernsteinzimmers, Telefonbücher aus den 90ern, Pfandflaschen und die Big-Maple-Leaf-Goldmünze aus dem Bode Museum.

Neben dem rustikal-rostenden Äußeren hatte die Kiste aber noch ein Problem: Sie tropfte. Anfangs ein paar Tropfen die Stunde später immer mehr. Zu diesem Zeitpunkt war auch kein warmes Wasser mehr aus der Kiste zu bekommen. Egal, ich wollte Bodyhacking mit nur-kalt-duschen ja eh schon immer mal ausprobieren. Die Kommunikation mit unserem Vermieter diesbezüglich war… schleppend. Eines Abends kamen wir nach Hause und es kam gar kein Wasser mehr aus der Leitung. Der Nachbar unter uns hatte es abgedreht, da er unglücklich darüber war, dass es aus seiner Decke unkontrolliert regnete. Ich hatte sofort Verständnis für ihn. Über ihn erfuhren wir dann auch, dass unser Vermieter… naja, sagen wir mal so: Es war nicht alles so easy-mobeasy, wie ich dachte, Hashtag mutmaßlichillegaleUntervermietung. Und nach 2 Tagen mit-kaltem-Wasser-und-Eimer-unterm-Boiler wurde uns höchst offiziell das Wasser komplett abgedreht, natürlich ohne Bescheid zu sagen. Zum Duschen und aufs-Klo-gehen lernten wir so die schicke Ernst-Thälmann Schwimmhalle kennen. Nach 2 Tagen zogen wir erst mal eine Woche nach München und nahmen alles von Wert mit, da wir weder wussten, ob wir je wieder einziehen würden, noch, ob unser Wohnungsschlüssel noch passen würde. Konnten wir aber nach einer Woche wieder und fanden dieses Schmuckstück im Kämmerchen:

Alles ist möglich nur muss es offensichtlich erst komplett eskalieren. Und sogar der Unrat war verschwunden.

Viele Läden sind einfach prätentiöse Kackscheiße und essen gehen ist tricky. Es gibt zwar unendliche Optionen, aber sobald Wörter wie “authentic” dran stehen, gehen bei mir nun die Alarmglocken an. “Authentic” bedeudet, dass das In­te­ri­eur super-schicki-micki ist und man beim Posten der Lokalität auf Instagram viele Likes abgreifen kann. Was es nicht bedeutet: Dass das Essen gut, ausreichend oder sogar authentisch ist. Aber immerhin ist es viel zu teuer.

Hat wenig mit Bibimbap zu tun. Es steht 2 Mal “Bowl” drauf, dann muss es gut sein. Nein, nein, nein.

Drogen haben noch keinen verbogen außer halt, wenn doch. Warnsignal: Der/die KellnerIn ist zwar prinzipiell sehr freundlich aber tauch mit zuviel-Gras-oder-LSD-oder-sonstiges Monchichi-Gesichtsausdruck zum ersten mal nach ner Stunde am Tisch auf und wundert sich sehr über die Präsenz von Gästen. Oder die Anzahl der eigenen Hände (zwei).

Gegen 23:17 Uhr an der Edeka-Kasse Prenzelberg begegnet man auf jeden Fall einem Mitglied dieses Trios oder man ist selbst Teil davon.

East Side Gallery Gemälde. Fasst die Grundstimmung der Stadt gut zusammen.

Segen und Fluch der deutschen Hauptstadt.


Und mal abgesehen von all dem Krach und Schmutz und Staub gibt es vieles, was die Stadt sehr lebenswert macht. Allem voran das “no one gives a fuck” Prinzip. Du willst mit deiner kompletten Bergsteigerausrüstung samt Eispickel, Seilen und Lawinenpiepser durch Mitte laufen? No one gives a fuck. Deine sexuelle Orientierung verstehen nur du selbst und das Bügeleisen, das du liebkosend durch die U-Bahn trägst? Geht klar. Du kannst zwar nicht E-Gitarre spielen, willst das aber allen direkt vorm Brandenburger Tor beweisen? Mach halt!

Letztes Wochenende saß ich, nachdem ich mir den CSD Umzug angeschaut hatte, noch für eine Stunde auf einer Bank unter den Linden, gegenüber der abgeriegelten russichen Botschaft und habe Menschen angeschaut. Dabei hatte ich das Gefühl, vermutlich gerade am durchmischtesten Ort auf diesem Planeten zu sein. Nackerte, bunt angemalte Männer mit einem Metallgitter vor ihrem Gemächt liefen neben vollverschleierten Frauen, die ihre KDW Einkäufe nach Hause brachten. Dazwischen Camp David Boomer, chinesische Touristen, Familien mit Kindern, Motorrad-Poser, die Zeugen Jehovas, lesbische Pärchen, Hütchentrick-Betrüger, whatever, you name it; alle waren da und ich mitten drin. Wir sind viele und wir sind zu zweit, wir sind big in Berlin tonight!

Und dann wäre da noch radioeins. Ich bin schon immer ein überzeugter Radiohörer und da FM4, mein wohl meistgehörter Sender der letzten beiden Jahrzehnte, immer weiter abgebaut und schleichend kaputt gemacht wird, habe ich immer häufiger zu radioeins gewechselt. Hier in Berlin habe ich dann festgestellt, dass eigentlich alle Konzerte, Lesungen, Theater, Kino etc. die mich interessieren von radioneins präsentiert werden – zumindest in meiner kleinen Wohlfühlbubble war der RBB damit omnipräsent, hier ein paar von vielen Beispielen.

Die schöne Lesung mit T.C. Boyle.

Live aus dem Studio Eins im Bikini mit Mit Jochen Distelmeyer.

Freiluftkino Friedrichshain

Endlich mal Metropolis gesehen.

Die Parkbühne Wuhlheide mit Danger Dans 40. Geburtstag.


Jetzt bricht die letzte Woche in Berlin an, die Löwin war natürlich ein Wildschwein und ich merke, dass das alles eine gute Erfahrung war und ich sicher wieder komme, aber dieser berglose Ort auf Dauer nichts für mich ist. Mit dem ICE fährt man, inshalla, in genau 4 Stunden von München nach Berlin, also ist Berlin eh nur ein Vorort von München. Oder andersrum.

So schmerzbefreit bin nicht mal ich, dass ich die Strecke mit dem 49€ Ticket mache. Aber ich gebe zu, ich hab darüber nachgedacht.

So ein Unfug, zum Glück (für beide Städte) stimmt das überhaupt gar nicht!

Sie haben aufgeräumt! Mal sehen, wie lange.

Marx, Engels und ich sind überfordert und verwirrt, was um uns herum geschieht.

War nicht lange.


Lyrics: Grossstadtgeflüster – Icke!