Knackiger Spaß im Glas
Dass das Bier in meiner Hand alkoholfrei ist Ist Teil einer Demonstration Gegen die Dramatisierung meiner Lebenssituation Doch andrerseits sagt man, das Schweinesystem Ist auf nüchterne Lohnsklaven scharf Darum steht da auch noch ein Whisky Weil man dem niemals nachgeben darf
- Sven Regener, Element of Crime “Kaffee und Karin”
Schon mal nüchtern auf der Wiesn gewesen? It’s quite the experience! Wenn man nicht gerade schwanger ist, gibt es gesellschaftlich keine Ausreden für diese asoziale Verhaltensweise. Alkohol ist die einzige Droge, bei der man sich erklären muss, wenn man sie NICHT konsumiert.
Den ersten alkoholinduzierten Rausch hatte ich so mit etwa 15 Jahren. In einem Tante-Emma-Laden draußen auf dem Land, wo Berentzen gebrannt wird und man es mit dem Jugendschutz nicht so erst nimmt, kauften meine damaligen Kumpels und ich gemeinsam nach der Schule zwei Flaschen Berentzen saurer Apfel, versteckten diese in den Büchertaschen und ließen uns am Abend mit der geheimen Fracht im Gepäck vom Eltern-Taxi zur Plattenparty fahren.
„Plattenparty“ scheint ein lokales Phänomen zu sein, das es in unterschiedlichen Ausführungen gibt. Zu dieser Zeit war das einfach eine Disco-Veranstaltung für Jugendliche, die noch nicht in die Disco dürfen in irgendeinem Kaff am Ende der Welt. An die Kinder wurden Soft-drinks und Soft-Alk in Form von Bier und Proto-Alko-Pops ausgeschenkt. Höchst verantwortungsvoll also.
Natürlich ließ man sich von den Erziehungsberechtigten nicht direkt vor den Eingang der Mehrzweckhalle Unter-Niemandslandhausen fahren (das wäre ziemlich uncool gewesen) sondern stieg ein paar Straßen zuvor in einem Wohngebiet aus. Als die Eltern („wir holen euch um 12 ab und weil bezahlbare Handys noch nicht erfunden sind verlassen wir uns auch darauf, dass ihr pünktlich da seid!“) nicht mehr zu sehen waren, holten wir die Flaschen raus, begannen sie zu leeren und uns erwachsen zu fühlen. Mit fucking Berentzen, muhuhahahahahaha.
Mein erster Alkohol war das nicht, ein Bier oder einen Schluck Wein hatte ich sicher schon mal irgendwo getrunken, aber 2 Flaschen klebriger Schnaps? That was a different kind of Monster. So torkelten wir über die Party, von der vorher erzählt wurde, dass es krass abgeht mit Hip-Hop, echten Gangstern (Bloods und Crips!) und heißen Mädels. Im Ergebnis stand ich mit meinem Orlando-Magic-Shirt schwummrig-schüchtern am Rand einer leeren Tanzfläche, unterhielt mich lallend und gegen Coolio und Cotton-Eye-Joe anbrüllend mit meinen Freunden und dachte darüber nach, was ich hier eigentlich tat. Wenn ich so darüber nachdenke, trifft der letzte Satz auf fast alle meiner Club-Besuche der letzen 30 Jahre zu. Bis auf das Orlando-Magic Shirt. Die Dorf-Gangsta-Fraktion hatte farbige Taschentücher hinten aus den Baggys hängen und schaute finster drein.
Kurz bevor man von den Eltern abgeholt wurde kotzte man noch schnell einem unbeteiligten Reihenhausbesitzer über die Hecke, schob sich einen Kaugummi rein und wusste genau, dass die Erziehungsberechtigten Alkohol und Zigarettengestank garantiert nicht riechen würden. Einfältige Kids!
Der erste Filmriss kam wenige Zeit später in Form eines „Brunnenfestes“ in Ober-Niemandslandhausen, wo es gar keinen Brunnen gab, aber darum ging’s doch auch nicht, sondern ums SAUFEN, Mann! Wir waren mit einer lauwarmen Jack-Daniels-Cola-Mischung deutlich besser vorbereitet. Das schmeckte grauslich und bis heute wird mir nur beim Geruch von Whiskey übel. Man erzählte mir am nächsten Tag, dass ich mitten in der Nacht lauthals auf einem Spielplatz um Hilfe gebrüllt hatte, weil ich wohl dachte, dass ich sterben würde. Wahrscheinlich hatte ich eine Alkoholvergiftung aber irgendjemand legte mich in mein Zelt, ich gab Ruhe und erstickte nicht an meinem eigenen Erbrochenen. Funny story, oder?
Einige Jahre später, Anreise zu Rock im Park 2003. Gepäck-Prioritäten waren klar.
Ne, eben nicht. Ich habe eine sehr gespaltenes Verhältnis zu Alkohol. In 9 von 10 Fällen empfinde ich den Rausch nicht als angenehm, sondern ich bekomme Kopfschmerzen, mein Herz beginnt zu rasen und alle Zellen meines Körpers teilen mir unmissverständlich mit, dass sie dieser mir selbst absichtlich zugeführten Vergiftung MASSIV widersprechen. Im 10. von 10 Fällen hab ich einen schönen Abend und werde zum lustig-tapsigen Tanzbären. Die fun-to-pain ratio kippt also deutlich in die falsche Richtung und so trinke ich fast keinen Alkohol mehr, vor allem weil es mit dem Älterwerden auch immer schlimmer geworden ist. Nicht meine Droge.
2017 habe ich ein Jahr komplett ausgesetzt (ich mache öfters mal meine eigenen ein-Jahr-lang-etwas nicht-Challenges), was weniger erkenntnisreich war, als ich mir vielleicht vorher ausgemalt hatte aber ein paar Punkte sind schon hängen geblieben:
Leute hatten Mitleid mit mir. Schließlich verwehrte ich mir ohne ersichtlichen Grund dem Rausch. „Ich könnte das nicht“ war eine der häufigsten Reaktionen, wenn ich mich mal wieder irgendwo erklären musste. Doch, könntest du, du willst es nur nicht und das ist auch ok.
Wenn man im Restaurant als Pärchen ein Bier und ein Wasser/Softdrink bestellt bekommt der Mann in 95% der Fälle den Alkohol hingestellt. Da ich genau in dem Jahr eher weniger klimaneutral sowohl in Südamerika als auch in Asien unterwegs war, konnte ich feststellen, dass das ein kulturübergreifendes Phänomen ist. Weltweit geht man davon aus, dass der Mann säuft während die Frau ihm dabei zuschaut, ob in Chile/Bolivien/Argentinien oder in Japan/Korea/China. In Deutschland natürlich auch, da aber mit dem Unterschied, dass man das konsumierte Bier erst ab 20€ Umsatz mit Karte zahlen kann. Wenn das Terminal funktioniert. Ne, dann an der Theke. Ach so, nur EC. Dann doch bar. Danke. Back on topic, Mann!
Bier in Kyoto, nicht von mir getrunken.
Salar de Uyuni, Bolivien. Installation: Dinosaurier, chilenische Weinflasche und Schwager. Höhenrausch auf dem Altiplano.
Ich wurde viel auf körperliche Fitness angesprochen und ob ich eine Veränderung wahrnehmen würde. Dafür hatte ich aber zuvor schon so wenig getrunken, dass ich keinen signifikanten Unterschied feststellten konnte. Menno!
Auf Parties kommt irgendwann unweigerlich der Punkt an dem irgendeine (meist männliche) Person so blau ist, dass man mehr Seelenstriptease anvertraut bekommt als einem lieb ist. Unterschätztes Problem dabei für mein Gegenüber: Ich kann mich am nächsten Tag noch an das Gespräch erinnern und denke mir, dass man viele Dinge vielleicht mal nüchtern und nicht bei 18 Promille besprechen könnte. Aber: Männer können seine Gefühle nicht zeigen. Daher werden die harten Themen später entweder relativiert, totgeschwiegen oder man ist halt peinlich berührt, obwohl es das nicht sein müsste. Männer sind häufig so sozialisiert/erzogen, dass sie gelernt haben, Gefühle runterzuschlucken und diese erst dann unkontrolliert herausbrechen zu lassen, wenn man sich die Filtersysteme aus dem Hirn gespült hat. Daher ist vermutlich auch der Gruppenzwang so ausgeprägt, denn wer nicht säuft, der erinnert sich. Schlecht.
Nach dem abstinenten Jahr, dass ich am 1.1.2018 um 00:01 Uhr mit dem Konsum einer Bierbong beendete (weil ich auch ganz gerne dumme Dinge tue!) bin ich kein dogmatischer nicht-Trinker geworden, aber an ca. 360 Tagen im Jahr bin ich rotze-nüchtern. Das meiste habe ich in letzter Zeit unfreiwillig getrunken, wenn mir im Restaurant statt dem bestellten alkoholfreien Bier mal wieder ein „normales“ gebracht wurde und ich es zu spät bemerkte. In meinem Fall relativ wurscht, kann das für manch Anderen ernsthafte Konsequenzen haben. Aber da darf man sich dann halt nicht so anstellen! In einem Augustiner Gasthaus in München wurde ich mal angegrantelt, dass man so einen Scheiß wie alkoholfreies Bier nicht anbieten würde. Langfristig keine gute Strategie, wenn man sich anschaut, wie sehr die alkoholfreien Biere am Boomen sind. Aber der Markt regelt das bestimmt, macht er ja immer.
Aufgewachsen zwischen Wein- und Bierfranken war vor allem Wein immer präsent in meiner Jugend. Weinfeste, Weindörfer, Weinprinzessinen, Weinkeller… you name it. Wenn Dein Hobby ein bis unter die Decke gefüllter Weinkeller ist, ist das ok für mich. Was aber nicht ok ist: Mich ungefragt darüber vollzutexten und mir immer wieder Wein zum probieren anzubieten. ICH MAG KEINEN WEIN. Ok, ganz selten vielleicht mal. There, I said it. Hat lange gedauert, bis ich mich überhaupt getraut habe, das so zu artikulieren. Eines meiner Hobbies ist Retro-Gaming. Erzähl ich den ganzen Abend von den Mode-7 Möglichkeiten des SNES Grafikchips und wie verschiedene Zusatz-DSPs wie der Super-FX das sogar noch erweitern konnten? Nein, weil es bummslangweilig ist! Und genauso geht es mir mit deiner Weinflasche. Da ist vergärter Traubensaft drin, der in größeren Mengen ordentlich im Schädel knallt, geil. Falls ich mehr darüber erfahren möchte frage ich nach, danke. Das gleiche gilt übrigens für den 753 Jahre alten, im Ahorn-Eiche-Mahagoni-Fass gereiften Whiskey und das handfiltrierte Craft-Bier, bei dem durch Zugabe von Quinoa und Plutonium eine kleinst-Serie von 212 Flaschen hoch-radioaktivem Bier gebraut werden konnte, das im Dunklen blau leuchtet. #TscherenkowStrahlung
Ich finde es vollkommen in Ordnung, Alkohol zu trinken. Ich finde auch den Exzess saumässig wichtig, pure Vernunft darf niemals siegen! Ich bin für ein Recht auf Rausch. Aber diese allgegenwärtige fucking Glorifizierung von Ethylalkohol nervt mich, insbesondere, wenn man Maßkrug-schwingend die anderen drölf tausend der Menschheit bekannten Rauschmittel verteufelt. Deutsche-Fentanyl-Bucht, Heroin-Hunsrück und Kokain-Kassel klingen weniger romantisch als Weinfranken und Bierfranken. Aber nur, weil wir uns vor ein paar tausend Jahren auf Alkohol als go-to-Rauschmittel verständigt haben, obwohl es ein ähnlich hohes bzw. sogar höheres Sucht- und Gefahrenpotential hat, als die gerade genannten drei Drogen. Was nicht heisst, dass ich die jemals selbst konsumieren würde – nur dass wir eine davon als gesellschaftlich akzeptabel, mehr noch, gesellschaftlich erwünscht auserkoren haben. Das Praktische am Trinken (von nicht-alkoholischen Getränken) ist, dass das ein überlebenswichtiger Prozess ist, den wir seit unserer Kindheit beherrschen. Ob dann beim Söder Apfelsaft oder Bier im Maßkrug ist, ist erst mal irrelevant, Hauptsache er wirkt wie einer von der bierseligen Bande. Blender. Müssten wir uns täglich gegen Corona impfen wäre vielleicht auch das Setzen der Heroin-Nadel auf der Bierbank ein normaler Vorgang. Ozapft is.
Fehlt nur noch der pinke Drogen-Elefant, der hier irgendwie hätte auftauchen sollen. Cannabis. Aber darüber schreibe ich, wenn die Legalisierung da ist. Nehm ich dann “Hits from the Bong” “I got 5 on it” oder “Because I got high” als Überschrift? Wird eh was ganz anderes. Naja, hab ja noch Zeit, mir das zu überlegen. Bis dahin Cheers!
Im Fastenmonat Ramadan mache ich natürlich auch mal eine Ausnahme von der Abstinenz und gönne mir wie hier in Jordanien ein Blonde Ale am Pool.
Lyrics: Bernd König – Berentzen Werbung
Kein richtiges Lied. Scheinbar hat der Dude dann aber noch versucht, eins draus zu machen, da wird mit Freunden statt mit Schnaps auf das Leben angestoßen. Wer Bock auf Schmerzen hat kann sich das hier anschauen. Ich habe es nicht bis zum Ende ausgehalten.
Honourable Mention: Diese Underberg Werbung von 1977. Message: Die Welt ist abgefuckt, aber wenn du dir JEDEN TAG einen reinzwitscherst überstehst du sogar die fiesen späten 70er.