Keine Flatrate
Teil 2: UNDER CONSTRUCTION
Es ist 1996. Wer im Kopf weitergesungen hat, dürfte ungefähr mein Alter haben oder hört zu viel Formatradio.
Und trotzdem geht es im Jahr 1996 weiter. Das Modem an meinem Vobis-Colani-Design-Big-Tower-486er ist mittlerweile ein U.S. Robotics Sportster 33.600 Baud Modem (selbst eine für Deutschland typische EDGE Verbindung ist deutlich schneller). In der Mailbox meines Vertrauens werde ich häufiger nach meiner ICQ Nummer gefragt und im Fernsehen läuft die Nachfolgesendung von Schmidteinander, die unter anderem mit einer Seite im Word-Wide-Web namens xhttp://www.harald-schmidt-show.de beworben wird; NICHT anklicken, die Domain hat irgendjemand ge-grabt und macht Quatsch damit.
Als Abfallprodukt seines Onlinebankings samt BTX Zugang hat mein Vater einen (ungenutzten) Internetzugang von T-Online. Der ist leider sauteuer (die wollten damals tatsächlich zusätzlich Geld für den E-Mail Versand!) und auch nur auf seinem Rechner installiert aber ich machte dort meine ersten Klicks durchs WorldWideWeb. Was genau, weiss ich nicht mehr, es ging mir aber mehr um den technischen Kram als um Inhalte. Ach ja: Pr0n (l33t!) war es sicher nicht, das gab es zu dem Zeitpunkt noch in Form des Playboys oder auf VHS. Wir unschuldigen Kids der 90ies!
Meine ersten Stunden im Internet an meinem eigenen Rechner kamen dann von CompuServe-Probierversionen, die auf Diskette oder CD diversen Computermagazinen beilagen und immer um die 10 Stunden kostenlosen Internetzugang beinhalteten. Problem hierbei: Der nächste CompuServe-POP (Point of Presence, also Einwahlknoten) war in Nürnberg, was für mich damals Ferngespächsgebühren bedeutete und somit auf Dauer auch keine Lösung war; wir erinnern uns an den fiesen Gebührenzähler aus Teil 1.
Die beiden ersten Internet-Provider, die ich also längere Zeit am Stück nutzte waren Metronet und SWIN.
Metronet hatte damals das unschlagbare Angebot von 10DM im Monat + Telefonkosten, allerdings gab es einen POP in meinem Ortsnetz. Der großen Nachteil: Die Internetverbindung lief komplett über einen Proxy und der war mit einem Strohhalm ans restliche Internet angebunden. Das bedeutete, dass Webseiten, welche bereits von jemandem aufgerufen wurden, als Kopie auf dem Proxy lagen und so halbwegs zackig an mich übertragen wurden, allerdings dann in der Version, die zuletzt heruntergeladen wurde und das war dann nicht unbedingt die Neueste. Wenn man nun etwas aufrufen wollte, was der Proxy noch nicht kannte, musste der erst mal die Seite über seine lahme Verbindung aus dem „echten“ Internet besorgen, was gerade in den Abendstunden (Mondscheintarif!) meist unmöglich wurde. Andere Dienste wie IRC und ICQ (dazu später mehr) konnte man nur über Umwege oder gar nicht verwenden. Auch die Einwahl zu Metronet war ein echtes Geduldsspiel, da der Knoten einfach nicht genügend Einwahlmodems hatte und man statt des klassischen Modemgebrülls ein Besetztzeichen bekam. Also immer wieder probieren, bis man halt durchkam.
Zum Glück gab es eine Alternative, die ohne Proxy-Zwang aber auch mit vollkommen überlasteten Leitungen daherkam: SWIN. Als gemeinnütziger Verein und für nur 50 DM im Jahr erhielt man hier einen Internetzugang samt E-Mail Adresse und Platz für die eigene Homepage.
Der Webbrowser mit Newsgroups und Mail Funktion der Wahl war Netscape Communicator. Die Suchmaschinen der Zeit waren Metacrawler, Altavista und Yahoo, schließlich musste Google erst noch erfunden werden. Daneben bei mir immer geöffnet waren ICQ und mIRC. ICQ war zu dieser Zeit der Standard-Messanger. Wer mit anderen seine ICQ Nummer austauschte, konnte in Echtzeit miteinander chatten, wenn beide Parteien gleichzeitig online waren. Klingt heute super-banal, wenn man aber aus der Welt des OLMens kam und diese Funktion bisher nur für die kleine Mailbox-Welt kannte, war eine theoretisch weltweit verfügbare Kommunikationsform zum Ortstarif ziemlich mind-blowing. Apropos: Ich erinnere mich, als ich meinem Dad mit Hilfe eines grafischen Routetracings zeigte, wie IP Pakete von www.sony.co.jp einmal um den Erdball nach Unterfranken geschickt wurden und er sofort Panik bekam weil er zunächst dachte, ich hätte eine direkte Telefonverbindung nach Japan hergestellt.
Auf IRC Servern (Internet Relay Chat), die zusammengeschalteten waren, konnte man zu den verschiedensten Themen chatten. Beim Verbinden gab man sich einen Nickname, akzeptierte die Nutzungsbedingungen des Servers und ging in einen Channel, der einen interessierte. Die beiden Netze, in denen ich mich da rumtrieb, waren das IRCnet welches viele deutschsprachige Channels bot sowie das EFnet, welches bekannt war für Warez, also illegale Softwarekopien, Cracks, später MP3s, Filme und alles andere, was es irgendwie digital gibt. Immerwieder gab es sogenannte Netsplits wenn ein Server zum anderen die Verbindung verlor und es im Chat so aussah, als verließen massenweise gleichzeitig NutzerInnen den Kanal.
IRC war ein bisschen wie Telegram heute aber die Vollidiotendichte war überschaubarer und die Regeln je nach Channel strenger. IRC existiert noch immer, aber die Nutzerzahlen sind dramatisch gesunken, ich selbst bin da seit vielen Jahren nicht mehr unterwegs.
Ein damaliger Freund hatte erkannt, dass man mit dem Erstellen von Webseiten echtes Geld verdienen konnte. Schließlich wollte plötzlich jeder eine Website haben. Und so hat er mit rudimentären HTML Kenntnissen und Microsoft Frontpage 97 Firmenwebsites gebaut. Ich habe mitgeholfen und so mein Taschengeld aufgebessert.
Auch meine eigene Website hatte ich, leider existiert im Archiv nur noch die Eingangsseite samt obligatorischem „Under construction“ Banner und fetzigem 90er Jahre Schriftzug.
Auf der Seite selbst ging es – nerdnerd – um das Thema Videospiel-Emulation und man konnte einen Gameboy-Emulator samt Spielen runterladen. Urheberrechtsverletzungen im Netz waren allgemein noch kein so großes Thema. Die Leitungen waren zu langsam und eine kritische Masse an NutzerInnen war noch lange nicht erreicht.
Im Jahr 1998 begann ich eine schulische Ausbildung zum Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung. Coden war und ist zwar nie mein Thema gewesen aber die Möglichkeiten, irgendwie im IT Bereich eine Ausbildung zu machen, waren zu dieser Zeit noch recht eingeschränkt. Während meiner gesamten Ausbildungszeit durfte ich beobachten, wie das Internet von meinen DozentInnen, die im Jahre zuvor noch die Funktionsweise von Lochkarten unterrichten durften (FachinformatikerIn war ein neuer Beruf und meine Klasse war das erste Ausbildungsjahr) nur als Randerscheinung wahrgenommen wurde. Ich hielt sogar ein Referat über die technischen Grundlagen des Internets, da es nicht Teil der Ausbildung war. Eine Internetleitung gab es auch an der Schule, die durfte man aber nur in der Pause für 15 Minuten nutzen. Naja, dafür habe ich viel über SQL, C, Java und Visual Basic 6 gelernt.
Im Jahr 1999 löste ein ISDN Zugang zuhause die analoge Telefonleitung ab, und so wurde mein Internetzugang von einem Tag auf den anderen doppelt so schnell. Viel entscheidender als die Geschwindigkeit war aber, dass es im Jahr 2000 zum ersten Mal möglich war, eine Flatrate bei der Telekom zu buchen und so dauerhaft online zu sein. Gamechanger.
Zu meiner Fachinformatiker Abschlussprüfung 2001 fanden sich einen Tag vor der Prüfung Aufgaben im Netz, die, wie sich im Nachhinein herausstellte, sehr nahe an den tatsächlich gestellten Aufgaben waren. Natürlich war das auch an mir nicht vorbeigegangen aber ich schenkte dem Ganzen nur mittelmässige Beachtung. Hätte ich es getan, wäre meine Abschlussnote vermutlich ein bisschen besser ausgefallen. Vor der eigentlichen Prüfung wurde uns damals mitgeteilt, dass man „unter Vorbehalt“ prüfen würde und das ganze Prozedere unter Umständen vielleicht wiederholt werden müsse. Zum Glück kam es bei uns nicht soweit und die Prüfung wurde gewertet. Vielleicht hat man sich ja danach bei der IHK überlegt, das Thema „Internet“ mal etwas genauer zu beleuchten.
Lyrics: Deichkind – Ich und mein Computer
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